Tischuhr David Roentgen

Neuwied, 1785-90

Mahagoni und Bronze feuervergoldet. Achttagewerk. Viertelstundenschlag, petit sonnerie, auf zwei Glocken

Höhe: 43,2 cm
Breite: 27 cm
Tiefe: 15,5 cm Inv. Nr.: 1885

David Roentgen (1743-1807) gilt als der erfolgreichste und berühmteste Ebenist des 18. Jahrhunderts in Europa. Die in Neuwied ansässige Werkstatt entwickelte sich zur innovativsten Manufaktur der Zeit; mit ihrer Tischlerkunst verbinden sich kostbare Materialien, künstlerisch und mechanisch einzigartige Leistungen und feinste handwerkliche Ausführung.

Aus der Neuwieder Manufaktur ist nur eine kleine Folge vergleichbarer Tischuhren in öffentlichen Sammlungen überliefert. Neben der Konkordanz mit dem Repertoire des gesicherten Bestandes ist es für die Roentgen-Manufaktur charakteristisch, daß sich diese Tischuhr-Modelle nicht auf die Idee der rezitierenden Ausführung eines Entwurfes beschränken, sondern das Thema variieren.

DAS UHRGEHÄUSE

Mit dieser Tischuhr artikuliert sich der Klassizismus in der von David Roentgen geprägten Interpretation in seiner stringentesten Form. Die Stutzuhr folgt einem strengen architektonischen Aufbau, der den eleganten Proportionen eine erstaunlich monumentale Wirkung verleiht.

Dazu tragen besonders die Betonung der Front bei, mit den flankierenden Pilastern, die mit drei Messingkanneluren gerippt und mit vergoldeten Vasen und Blütenzweigen geflötet sind. Schlanke Messingprofilstäbe charakterisieren die klare Formensprache des Uhrgehäuses. Den Abschluß bildet das kantige, fein gestufte Giebelprofil. Das starke Furnier ist an den vielen Kanten sorgfältig auf Gehrung zusammengefügt, sodaß das Uhrgehäuse und insbesondere das abgetreppte Dach mit dem vergoldeten Tragegriff aus einem Block gearbeitet zu sein scheint.

Die Füllungen der Front sind mit den für die Roentgen-Manufaktur typischen vergoldeten mille-raies Streifen, den Perlschnurleisten und profilierten Scheiben akzentuiert. Die Kombination aus feinen Messingprofilen, Feuervergoldungen und rötlich-braunem Mahagoniholz ist das charakteristische Erscheinungsbild des kostspieligen klassizistischen Roentgenmöbels überhaupt. Das dreiseitig verglaste Gehäuse präsentiert ein Mahagonifurnier von erlesener Qualität. Das Konstruktionsholz ist Eiche. Die Feinheiten der Vergoldung und eine sorgfältige Ziselierung, sowie der Wechsel in der Oberflächenbearbeitung zwischen ziselierten und glänzend polierten Partien, bewirken eine lebhafte Durchbildung der Licht- und Schattenpartien und steigern die Tiefenwirkung des warmtonig dunklen Mahagonis.

Uhren dieser aufwendigen und kostbaren Bauart waren begehrte Luxusobjekte an den führenden Höfen Europas; sie stellten in Schlössern und Palais ein wichtiges Element der Raumausstattung dar. Um 1800 wurde das hier vorgestellte Meisterwerk der Neuwieder-Manufaktur in der Dependance der Roentgen-Manufaktur am Braunschweiger Hof, unter der Werkstattleitung von Härder, mit dem Uhrwerk von Delolme ausgestattet.

HÄRDER UND DELOLME AM HOF IN BRAUNSCHWEIG

Aufgrund der radikalen politischen Veränderungen durch die Französische Revolution und dem Ende des Ancien Régime, war David Roentgen aus Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern und auch um den Fortbestand seines Lebenswerkes zu sichern, in den Jahren nach 1789 bestrebt, sein Magazin und letztlich seine ‚Fabriquen einrichtung’ an Orte außerhalb des Machtbereiches der französischen Truppen zu bringen.

Roentgen fand schließlich in Herzog Carl Wilhelm Ferdinand zu Braunschweig einen Förderer für die Ansiedlung der Manufaktur in der Residenzstadt, die sich durch einen wahrhaft königlichen Glanz auszeichnete und in der es seit Generationen eine blühende Tischlerkunst gab. Vereinbart wurde, daß Roentgen die ‚Fabrique mitsamt der nöthigen Werckzeuge’ an seinen umfassend qualifizierten Neuwieder Meister Johann Christian Härder (1760-1828) überträgt. Am 3. September 1800 wurde Härder als Hofebenist privilegiert und führte die Manufaktur unter der neuen Firmenbezeichnung „Herzoglich Braunschweigische privilegierte Kunst-Meublenfabrik von Neuwied“ erfolgreich weiter.

Zur Frage, was mit den unverkauften Vorräten aus Neuwied geschah, ist überliefert, daß Härder einige ‚vorräthige Kunst-Meubeln’ mit in die Residenzstadt Braunschweig genommen hat; für die Einfuhr, insbesondere auch von Bronzen und Uhren, wurde ihm Zollfreiheit gewährt. Die Liste enthält 34 Positionen, darunter auch ausdrücklich Uhrengehäuse: Vgl. Landesarchiv Oranienbaum (Abt. Dessau C 9h/Nr.1a/fol.12Vs); demnach kann die hier vorgestellte Stutzuhr diesen eingeführten Waren zugeordnet werden.

Der Hofebenist Härder fand am Herzoglichen Hofe in Antoine Niclas Delolme einen arrivierten Hofuhrmacher; für „die Wahl der Uhrwerke, welche in Roentgen-Möbel eingebaut wurden, war schließlich der Anspruch und Geschmack der elitären Kundschaft bestimmend.

Offensichtlich genoß Delolme als Hofuhrmacher in Braunschweig hohe Reputation; so wurde aufgrund seiner Eingaben am Herzoglichen Hof, zum Schutz und zur Förderung des Uhrmacherhandwerks, eine geregelte Prüfungsordnung erlassen, wonach man ohne Meisterstück keine Konzession erhält. Abeler erwähnt eine Tischuhr in Privatbesitz mit dem Werk von Delolme; ob es sich hierbei um die vorgestellte Roentgen-Uhr handelt, kann nur vermutet werden.

DAS UHRWERK

Achttagewerk, Messingplatinen, Antrieb mit umlaufenden Federhäusern, Spindelhemmung, Pendel mit Fadenaufhängung, Feinregulierung über Zifferblatt. Viertelstundenschlagwerk, petit sonnerie, auf zwei Glocken, die oberhalb des Werkes montiert sind. Antrieb des Viertelstunden- und Stundenschlags von einem Federhaus, Kadratur auf der Rückplatine mit großer Staffel, Viertelstundeneinteilung mit Rechen für zwölf Stunden.

Emailliertes Zifferblatt, signiert ‚Delolme’, mit arabischen Stunden- und 15-Minutenzahlen; durchbrochen gearbeitete, gravierte Messingzeiger; bombiertes Glas in fein ziselierter, feuervergoldeter Lünette; feuervergoldete Platine mit virtuos gravierten Eckornamenten (Spandrels).

Das qualitätvolle Uhrwerk ist voll funktionsfähig und zeichnet sich aus durch seinen sehr guten Erhaltungszustand. Es ist auf der Rückplatine, unter der Feuervergoldung, durch eine gravierte Signatur wie folgt bezeichnet: „Ane Nicolas Delolme / Hger de la Cour /À BRUNSVIC“, Antoine Nicolas Delolme, 1752-1836, Braunschweig; tätig 1780-1810, wurde 1786 Hofuhrmacher.

WÜRDIGUNG

Die erst jetzt ans Tageslicht getretene Tischuhr der Roentgen-Manufaktur in „echter Neuwieder Qualität und Preisklasse“ kann als das bisher einzig bekannte Belegstück seiner Art gelten, das die erfolgreiche Zusammenarbeit des Hofebenisten Härder und des Hofuhrmachers Delolme belegt; damit ist diese rare Kostbarkeit auch für Sammlungen und Museen von besonderer Bedeutung.