Beschlagene Kisten - 500 Jahre Möbelgeschichte
Zwei bedeutende Westfälische Stollentruhen aus der Spätgotik und Frührenaissance:
Truhen, in allen Formen und Größen, waren die häufigste Form von Möbeln im spätmittelalterlichen Haushalt und ist zugleich das älteste Verwahrmöbel in Europa. Vielseitig nutzbar, vom feuchten Boden abgehoben und überall aufstellbar, bargen Truhen im Mittelalter in Kirchen, Klöstern, Burgen und öffentlichen Gebäuden den wertvollen Urkundenbestand, vielfach auch den Kirchen- oder Ratsschatz, die Paramente und das Bargeld. Im privaten Haushalt waren in ihnen primär Gewänder, Schmuck und Pretiosen sowie Waffen untergebracht.
Die hier vorgestellte, sogenannte ‚Stollentruhe’ durchweg aus Eichenholz, leitet ihren Namen ab von den vier starken, senkrechten Bohlen als seitliche Abschlüsse von Vorder- und Rückwand. Sie werden als Stollen bezeichnet und sind die tragenden Konstruktionselemente der Truhe. Diese Truhenform, meist etwa einen Meter hoch und bis zu zwei Meter breit („Mannslänge“), wurde spätesten ab 1170 gefertigt. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts findet die eisenbeschlagene Stollentruhe in Westfalen ihre endgültige Konstruktionsform[1] und wird bis in das 17. Jahrhundert hinein fortgeführt.
Die Truhe wurde in der Regel an der Wand augestellt, da der Truhendeckel in geöffnetem Zustand ein Anlehnen erforderte. Deshalb sind nur eine Längsseite als Schauseite sowie die Schmalseiten besonders gestaltet. Eine Besonderheit der hier vorgestellten Stollentruhen ist der ungewöhnlich reiche, in strenger Ordnung ausgeführte dekorative Bandbeschlag, der in seiner Kunstfertigkeit auf eine bereits im 15. Jahrhundert hochentwickelte Tradition der Eisenverarbeitung hinweist. Außerordentlich dicht und streng parallel angeordnete Eisenbänder, die in Lilien-, Rosetten- oder Kreuzblumenköpfen enden, prägen das eindrucksvolle, tresorartige Erscheinungsbild dieses seltenen Möbeltypus. Häufig waren diese Bänder ursprünglich verzinnt, bemalt oder mit einem kontrastierenden roten Stoff unterlegt.
Der Beschlag dieser Truhen wurde vornehmlich nicht nach funktionalen Erfordernissen konstruiert, sondern diente der Dekoration und war vor allem Statussymbol. Denn Eisen war zu jener Zeit ein sehr kostbares Material. Das Prunkmöbel sollte den herausgehobenen Status seines Besitzers hervorheben. Derartige Stollentruhen wurden von hochgestellten Persönlichkeiten des Adels, des Klerus und des Stadtpatriziats in Auftrag gegeben.
Die Hohe Kante
Wer etwas auf die hohe Kante legt, der spart sein Geld, anstatt es auszugeben. Die Redewendung stammt aus dem Mittelalter, als wohlhabende Menschen ihr Vermögen zuhause aufbewahrten. Ein beliebtes Versteck für das Ersparte waren Geheimfächer in hochherrschaftlichen Betten und Truhen. Zur Innenausstattung dieses Truhentypus gehörte obligatorisch zumindest eine fest installierte Beilade mit eigenem Deckel an der Schmalseite, für kleinere Wertsachen oder vielleicht Kerzen – die sogenannte „hohe Kante“.
Für Bildhauerarbeiten boten sich seitdem die Schauseiten der Stollenfüße an. Aufwendig gearbeitete Truhen mit dichtem Bandbeschlag und geschnitztem Stollendekor waren absolute Luxusmöbel von besonderer Seltenheit. Die Kombination von bildnerischer Schnitzarbeit und üppigem, fein geschmiedetem Eisenwerk sind Kennzeichnen der qualitätvollsten Stücke. Aufgrund der großen Wertschätzung wurden sie bereits im 19. Jahrhundert zu gesuchten Objekten musealer Sammellust. Nur wenige Vergleichsstücke haben sich von diesem prächtigen Truhentypus in Privatsammlungen erhalten, höchst selten treten sie ans Tageslicht. So ist es ein absoluter Glücksfall, dass es uns gelungen ist, aus verschiedenen alten privaten Sammlungen, gleich zwei, dieser eindrucksvollen Stollentruhen zu erwerben:
Bisherige Verkäufe spätmittelalterlicher Stollentruhen
Vier Beispiele von vergleichbaren Stollentruhen die Viebahn Kunsthandel in den vergangen Jahren in museale und private Sammlungen verkauft hat:
Weiterführende Literatur:
- Ausstellungskatalog, Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt, Horst Appuhn und Jürgen Wittstock, Mittelalterliche Hausmöbel in Norddeutschland, Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte, 1982-1983.
- Baumeier, Stefan, Beschlagene Kisten, Die ältesten Truhen Westfalens, Freilichtmuseum Detmold, 2012
- Falke, Otto von, Deutsche Möbel des Mittelalters & der Renaissance, Stuttgart, 1924.
- Langer, Brigitte, ‚Kasten/ Truhe’ in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe. Hg. von Werner Paravicini, bearb. von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer. Residenzenforschung 15 II, Teilbd. 1+2, Verlag, Ostfildern 2005.
- Stülpnagel, Karl Heinrich von, Die gotischen Truhen der Lüneburger Heideklöster, Cloppenburg, 2000.
- Windisch-Graetz, Möbel Europas, Romanik – Gotik, München, 1982